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Archivale des Monats
Jeder sollte seinen Anzug anziehen und in die eigenen Schuhe schlüpfen! – Der Parteivorsitzende Dr. Theo Waigel

Autor: Dr. Christian Petrzik

Nach der Sitzung des CSU-Landesvorstands am 17. Oktober 1988 wurde eine Erklärung des Landesgruppenvorsitzenden Dr. Theo Waigel veröffentlicht, in der dieser mitteilte, auf dem CSU-Parteitag am 19. November 1988 für den Parteivorsitz der Christlich-Sozialen Union zu kandidieren.

Er habe sich diese Entscheidung, so Waigel, gut überlegt, persönlich abgewogen und mit vielen Freunden besprochen. (Zitate im Text aus ACSP/HA Waigel : Landesvorstand 1987-1989).
Kurz zuvor, am 3. Oktober 1988, war der langjährige Parteivorsitzende und Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß überraschend verstorben. In Teilen der Öffentlichkeit herrschten Zweifel, ob die CSU ihre Bedeutung bewahren würde, ob der Anzug und ob die Schuhe, die Strauß hinterlassen hatte, nicht zu groß wären.

 

Ich habe mir diese Entscheidung gut überlegt, persönlich abgewogen und mit vielen Freunden besprochen. - Presseerklärung der CSU-Landesleitung zur Kandidatur Dr. Theo Waigels für den Parteivorsitz mit handschriftlichen Anmerkungen des Kandidaten.

Ich habe mir diese Entscheidung gut überlegt, persönlich abgewogen und mit vielen Freunden besprochen. - Presseerklärung der CSU-Landesleitung zur Kandidatur Dr. Theo Waigels für den Parteivorsitz mit handschriftlichen Anmerkungen des Kandidaten.

ACSP; ACSP, HA Waigel: Landesvorstand 1987-1989

Solchen Befürchtungen entgegnete Waigel:

Ich möchte dazu nur meinen, das jeder von uns, in welcher Position auch immer, gut beraten ist, nicht den Versuch zu wagen, in den Anzug oder in die Schuhe von Franz Josef Strauß zu schlüpfen. Jeder von uns, wie immer er heißt, Max Streibl, Gerold Tandler, Theo Waigel, oder wer auch immer, sollte in seinen Anzug schlüpfen und seine Schuhe anziehen. Damit bewahren wir unsere Identität und tragen am meisten dazu bei, für die CSU auch künftig das Beste zu tun. 

Waigel gab sich kämpferisch:

Der Tod des Ministerpräsidenten habe, und das möge man in dieser Sekunde nicht als Mißachtung von Schmerz und Trauer mißverstehen, auch dazu geführt, daß heute wieder mehr Ermutigung und Entschlossheit bei den Parteimitgliedern da ist, über manches Kleinliche der letzten Wochen und Monate hinwegzusehen, sich einen Ruck zu geben und jeder an der Stelle, wo er steht, seinen persönlichen Beitrag zu leisten, um das Erbe von Franz Josef Strauß so fortzuführen, wie es diese Partei benötigt. [...] Wir stehen vor ungeheuren Herausforderungen und Verantwortung. Jeder von uns ist sich dessen bewußt. Keiner von uns ist tollkühn oder wagemutig. Wir wissen alle um unsere eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten und Möglichkeiten. Es geht jetzt darum, die CSU-Mitglieder zu motivieren und ich glaube, das geht, das muß jetzt geschehen. Es geht darum, Wähler und alle Bürger in Bayern und über Bayern hinaus durch den Stil des Umgangs zu überzeugen.

Ich werde auf dem CSU-Parteitag [...] kandidieren - Handschriftlicher Entwurf der Erklärung des Landesgruppenvorsitzenden Dr. Theo Waigel, auf dem Parteitag am 19. November 1988 für den Parteivorsitz der CSU zu kandidieren.

Ich werde auf dem CSU-Parteitag [...] kandidieren - Handschriftlicher Entwurf der Erklärung des Landesgruppenvorsitzenden Dr. Theo Waigel, auf dem Parteitag am 19. November 1988 für den Parteivorsitz der CSU zu kandidieren.

ACSP; ACSP, HA Waigel: Landesvorstand 1987-1989

Der CSU-Parteitag am 19. November 1988 stand unter dem Motto „Dem Erbe verpflichtet. Kraftvoll und geschlossen für Bayern, Deutschland und Europa. Der Landesvorstand war einmütig der Auffassung, dass der Kandidat für das Amt des Vorsitzenden der CSU Dr. Theo Waigel sein sollte und begründete dies mit Waigels Erfahrungen als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, seiner langjährigen Zugehörigkeit zur CSU, seiner Funktion als Vorsitzender der Grundsatzkommission der Partei seit 1973, als ehemaliger Vorsitzender des CSU-Kreisverbands Günzburg (1974-1987), als Vorsitzender des CSU-Bezirksverbands Schwaben, als ehemaliger Landesvorsitzender der JU Bayern (1971-1975) und der integren Art seiner Persönlichkeit.

Waigel wurde mit einem überwältigenden Ergebnis zum Parteivorsitzenden gewählt und richtete seinen Blick auf die kommenden Wahlen, zuvorderst jene zum Europaparlament 1989. Die CSU errang mit 8,2% der Stimmen sieben Sitze in der Fraktion der Europäischen Volkspartei. 1990 folgten die Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen. Unter Ministerpräsident Max Streibl und dem Parteivorsitzenden Dr. Theo Waigel wurde die absolute Mehrheit der CSU im Bayerischen Landtag mit 54,9 % der Wählerstimmen erfolgreich verteidigt. Damit lag man nur unwesentlich hinter dem Ergebnis der Landtagswahl von 1986, als die CSU unter Strauß 55,78 % der Stimmen gewonnen hatte. Der von manchen prognostizierte Bedeutungsverlust der CSU war nicht eingetreten.

Bei der Bundestagswahl konnte sich die Union mit leichten Verlusten als stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag behaupten. Dr. Theo Waigel war im Zuge einer Kabinettsumbildung am 21. April 1989 in die von Bundeskanzler Helmut Kohl geführte Bundesregierung in das Amt des Bundesministers der Finanzen berufen worden. In dieser Funktion sollte er zum Mitgestalter der deutschen Einheit werden und wesentlich zur Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion beitragen. Auf europäischer Ebene betrieb er die Gründung der Zentralbank und die Einführung einer Gemeinschaftswährung, der er als „Mister Euro“ ihren Namen gab. Neben seinem Amt als Bundesminister der Finanzen blieb Waigel bis 1999 Vorsitzender der CSU und führte die Partei erfolgreich durch die Neunzigerjahre.

In Anerkennung seiner Verdienste wurde er 2009 zum Ehrenvorsitzenden der CSU ernannt.

Seinen Anzug anziehen und in die eigenen Schuhe schlüpfen – Dr. Theo Waigel hat es geschafft. Am 22. April 2024 feiert er seinen 85. Geburtstag.

Herzlichen Glückwunsch, ad multos annos!