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Marokko
Marokko – Land mit Perspektiven

Seit einem halben Jahr ist Dr. Mounir Azzaoui als Auslandsmitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Marokko/Mauretanien tätig. Welche Schwerpunkte der Projektarbeit konnten in dieser Zeit gesetzt werden? Wie hat sich inzwischen die Situation im Land entwickelt?

Die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) ist seit 1987 in Marokko und Mauretanien tätig. Ziel der Arbeit ist die Förderung demokratisch-rechtsstaatlicher Strukturen und der soziökonomischen Entwicklung in der Region. Dazu arbeitet die HSS vor Ort insbesondere mit Universitäten, staatlichen Einrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen.

Dr. Mounir Azzaoui leitet das Büro der Hanns-Seidel-Stiftung in Rabat/Marokko. Vor seiner Entsendung war Azzaoui sechs Jahre lang für die Stiftung Mercator als Projektmanager tätig und hat dort ein Projektportfolio zu Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt entwickelt. Er hat Politikwissenschaften an der RWTH Aachen studiert und an der Georgetown-University in Washington DC für seine Dissertation geforscht.

Dr. Mounir Azzaoui leitet das Büro der Hanns-Seidel-Stiftung in Rabat/Marokko. Vor seiner Entsendung war Azzaoui sechs Jahre lang für die Stiftung Mercator als Projektmanager tätig und hat dort ein Projektportfolio zu Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt entwickelt. Er hat Politikwissenschaften an der RWTH Aachen studiert und an der Georgetown-University in Washington DC für seine Dissertation geforscht.

HSS: Wie man in deutschen Zeitungen liest, haben sich erfreulicherweise die Beziehungen zwischen Marokko und Israel normalisiert. Wie kam es dazu?

Dr. Mounir Azzaoui: Die USA haben hier noch unter der Trump-Administration eine wichtige Vermittlerrolle gespielt. Zeitgleich zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, haben die USA die Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara erklärt. Das ist für Marokko ein großer außenpolitischer Erfolg. Zugleich ist die Wiederaufnahme der Beziehungen naheliegend, da Marokko bereits vergleichsweise gute Beziehungen zu Israel unterhalten hat und zudem das Judentum in Marokko über eine lange und geschätzte Tradition verfügt.

HSS: Sie erwähnten die kürzlich erklärte Anerkennung des Gebietes Westsahara zu Marokko durch die USA. War das von langer Hand eingefädelt oder kam das völlig überraschend?

Dr. Mounir Azzaoui: Für die marokkanische Bevölkerung kam die Nachricht äußerst überraschend. Dennoch hat sich diese Annäherung bereits vor einigen Monaten abgezeichnet. Schon im Nachgang der Unterzeichung von Normalisierungabkommen zwischen Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel im Herbst 2020, wurde in den Medien über die mögliche Unterzeichnung eines solchen Abkommens zwischen Marokko und Israel spekuliert.

Welche Perspektiven eröffnet diese Annäherung zwischen Israel und Marokko?

Dr. Mounir Azzaoui: Israel und Marokko streben eine Vertiefung der Handelsbeziehungen, insbesondere in den Bereichen Agrarindustrie, Technologie, erneuerbare Energien sowie dem Tourismussektor an. Die Aufnahme einer direkten Flugverbindung und die Eröffnung von Verbindungsbüros in beiden Ländern ist ebenfalls geplant. Diese diplomatische Annäherung ist ein weiterer bedeutender Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten. Das ist wichtig, denn man muss mehr miteinander ins Gespräch kommen und die Annäherung kann und wird hoffentlich auch dazu beitragen, dass es im Nahen Osten zu einer friedlichen und gerechten Lösung kommen wird.

HSS: Sie haben die lange Tradition des Judentums in Marokko erwähnt. Können Sie Beispiele beschreiben?

Dr. Mounir Azzaoui: Das Judentum ist Teil der marokkanischen Kultur, auch wenn heute, von den ursprünglich etwa 250 000 Juden, nur noch etwa 3 000 im Land leben. Nach der Staatsgründung Israels ist ein Großteil nach Israel, Frankreich, Kanada und die USA emigriert. Die jüdische Bevölkerung hat in Marokko eine lange Tradition und prägt das Land bis heute in vielen Bereichen, wie in der Architektur oder Musik. In den vergangenen Jahren wurden in Marokko vermehrt Synagogen restauriert und jüdische Museen eröffnet, um das jüdische Erbe zu bewahren. In der Verfassung von 2011 wurden vor diesem Hintergrund die jüdischen Einflüsse als wichtiges Element der marokkanischen Identität hervorgehoben. Wie jüngst verkündet, soll das jüdische Leben auch Bestandteil des Schulunterrichts werden.

Wird die Rolle des jüdischen Lebens in Marokko auch in Israel wahrgenommen?

Dr. Mounir Azzaoui: Ja, das wird es und darin liegt ein großes Potential für die Zukunft, um das Kennenlernen und den Abbau von Vorurteilen zwischen Muslimen bzw. Arabern und Juden zu verbessern. Heute haben etwa 800 000 Israelis eine marokkanische Herkunft, darunter auch zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Kultur. Die aktuelle israelische Regierung zählt zehn Minister mit marokkanischen Wurzeln. Viele Israelis reisen heute noch nach Marokko, um etwa ihren Geburtsort oder jüdische Pilgerstätten im Land zu besuchen. Mit der jetzt einsetzenden Normalisierung der Beziehungen soll dieser Austausch vertieft werden.

HSS: Durch Covid-19 gibt es vermutlich negative wirtschaftliche Auswirkungen in Marokko. Macht sich ein rückläufiger Tourismus bemerkbar?

Dr. Mounir Azzaoui: Der ausländische Tourismus ist seit März 2020 fast komplett eingebrochen. Der heimische Tourismus ist zwar seit den Sommermonaten eingeschränkt wieder möglich, doch insgesamt sind die Einnahmen im Tourismussektor um 60 Prozent zurückgegangen. Das Wirtschaftsministerium und die Weltbank rechnen für das vergangene Jahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von über 6 Prozent. Der Verlust von etwa 580 000 Arbeitsplätzen führte zu einem Anstieg der Arbeitslosenrate von 9 auf 12 Prozent. Es bleibt abzuwarten, wie Marokko mit den sich daraus ergebenden sozialen Verwerfungen umgehen wird. König Mohamed VI. hat vor dem Hintergrund kürzlich die Ausweitung der staatlichen Sozialversicherung angekündigt, die allen Bevölkerungsschichten sozialen Schutz gewährleisten soll.

HSS: Ein Schimmer am Horizont sollen jüngst vermehrte Produktionsaufträge europäischer Unternehmen sein, die Aufträge von Asien nach Marokko verlagern. Kann das etwas kompensieren?

Dr. Mounir Azzaoui: Marokko gewinnt neben Tunesien als Produktionsstandort für deutsche und europäische Unternehmen immer mehr an Bedeutung aufgrund der geographischen Nähe und weil man hier auf qualitativ relativ hohem Niveau und geringen Kosten produzieren kann. Deshalb haben in den vergangenen Jahren vermehrt deutsche Unternehmen im Automobilsektor ihre Produktion von Osteuropa in die Freihandelszonen Marokkos verlagert. Mit der Covid-19-Krise zeigen sich nun erste Verlagerungen, etwa in der Textilindustrie, um Lieferketten zu diversifizieren und damit die Abhängigkeit von China zu verringern. Doch das ist eine eher mittel- und langfristige Perspektive, die sich hier für Marokko eröffnet.

Herr Dr. Azzaoui, wir danken Ihnen für das Gespräch und die aktuellen Bewertungen zur Lage im Land.